Über den Himmelschrofenzug

Von der Trettachspitze zweigt nach Norden ein Gebirgszug niedrigerer Höhe ab, der 8 km weiter nördlich vor Oberstdorf in einem düsteren Schrofengebilde, dem Himmelschrofen, endet. Der gesamte Gebirgszug wird deshalb auch als Himmelschrofenzug oder Himmelschrofenkamm bezeichnet und trennt das Trettachtal vom Stillachtal. Interessant ist dieser Gebirgszug vor allem deshalb, weil man diesen am Gipfel des Schmalhorns in 2 geologische Bereiche teilen kann, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Alle Gipfel südlich des Schmalhorns sind reine Fleckenmergelgipfel, während der nördliche Teil des Zugs vom Charakter des Hauptdolomits geprägt ist. Schon lange träumte ich von einer Überschreitung dieses Gipfelkamms, doch zweifelte ich lange an seiner Durchführbarkeit. Doch dann, als ich am wenigsten damit rechnete, gelang mir tatsächlich eine Überschreitung aller Gipfel zwischen Himmelschrofen und Schmalhorn mit gelegentlichem Ausweichen. Die beiden letzten südlichen Gipfel, den Späten- und Wildengundkopf, konnte ich dann wegen Erschöpfung, Tageszeit und Schneelage nicht mehr besteigen, doch habe ich für diese beiden Gipfel bereits andere Pläne. Richtig anspruchsvoll ist eigentlich nur der Übergang vom Hinteren Wildgundkopf zum Schmalhorn, doch sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass hier ein viel einfacherer Übergang existiert, dazu jedoch später. Alles andere ist vielfach mehr eine Anforderung an Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Ausdauer, als eine Frage von herausragender Kletterfertigkeit. Nur beim Übergang vom Vorderen zum Hinteren Wildgundkopf taucht eine recht luftige IIer-Stelle auf, der Rest ist I oder leichter. Niemand soll sich gezwungen fühlen, die hier beschriebene Tour auf einmal durchzuführen, es gibt hier verschiedene Möglichkeiten die Tour aufzuteilen oder konditionell zu vereinfachen. Für welche Variante man sich auch entscheidet, man erlebt auf jeden Fall eines der einsamsten und landschaftlich eindrucksvollsten Bergfahrten im Oberstdorfer Raum. Reizvolle Tiefblicke ins Stillach- und Trettachtal mit umfassender Aussicht auf die Oberstdorfer Gipfel, wildreiche Kare und abwechslungsreiche Landschaft sind der Lohn für manch mühsames Latschengeschliefe in dieser von Einsamkeit geprägten Wildnis. Nur die Gipfelbücher des Himmelschrofen Mittelgipfels und des Vorderen Wildgundkopfs verraten, dass zumindest diese Gipfel gar nicht mal so selten, vermutlich überwiegend von Einheimischen, bestiegen werden.

Am leichtesten ist die Überschreitung des Himmelschrofens, der erste Teil dieser Tour. Obwohl dieser Abschnitt keine Kletterei erfordert, stellt er dennoch eine gewisse Anforderung an Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, sowie an den Orientierungssinn beim Aufstieg im unteren Bereich des Himmelschrofens. Ein guter Ausgangsort ist der Parkplatz am Oberen Renksteg, bei dem man fürs Parken jedoch leider zur Kasse gebeten wird. Von hier aus folgt man zunächst der ansteigenden Straße in Trettachtal. Kurz vor dem Golfplatz zweigt nach rechts ein deutlicher, jedoch unbefestigter Fahrweg ab, der zunächst weiter nach Süden zu einem von Bäumen umwachsenen, dolinenartigen Einbruch leitet und von dort nach Westen abknickend schließlich vor der so genannten Schlosswies endet. Ein Gatter mit einem Schild weist auf den Privatgrundbesitz hin. Genau hier erkennt man auf der linken Seite des Gatters eine Trittspur, die durch den Laubwald am Zaun der Schlosswies entlang ansteigt. Wenn man von ihrer Existenz nichts weiß, könnte man sie schnell übersehen. Zu Beginn steigen die Tritte in leicht östlicher Richtung den steilen Waldhang empor, werden dann aber sehr bald ziemlich undeutlich und verlaufen sich schließlich vollständig. Der beste Orientierungspunkt ist ein dolinenartiger Krater, über den man etwas oberhalb bereits einige grün leuchtende Grasflecken erkennen kann. Wir steigen ein Stück weglos links des Kraters (also östlich davon) zu den Grasflecken empor und finden hier auch wieder undeutliche Tritte, die in einigen kleinen Kehren den Hang hinaufziehen und schließlich in der Höhe, an der sich der Wald lichtet, auf eine schmale, aber deutliche Pfadspur treffen, welche aus westlicher Richtung heraufkommt. Alternativ kann man auch rechts des Kraters durch einen Nadelbaumbestand aufsteigen und trifft so direkt auf die Pfadspur. Dies dürfte aber wohl besser für den Abstieg geeignet sein. Mein herzlicher Dank geht an Bernd Wimber für die Präzisierung der Route an dieser Stelle

Der nun folgende Abschnitt gehört zu den landschaftlich hübschesten Abschnitten dieser Tour. Die Steigspur zieht nun steil durch immer lichter werdenden Baumbestand und an reizvollen Felsformationen vorbei auf die Ostseite des Himmelschrofens hinüber. Von hier leitet sie nun markiert auf dem wenig ausgebildeten Grat in südwestlicher Richtung zum sogenannten Girenbad, einer herrlichen kleinen Bergwiese mit Blick auf Oberstdorf. Der Steig ist nicht schwierig, verlangt aber in dem steilen Gelände Trittsicherheit und etwas Schwindelfreiheit. Man folgt nun dem etwas zusammenschnürenden Grat durch Gras und Nadelbäumen mit herrlichen Blicken auf Fürschießer und Krottenspitze bergauf, bis man an Lawinenbauten vorbei zu einer kleinen Holzhütte gelangt, an welcher der Pfad nun teilweise durch etwas hinderliches Latschengestrüpp zum nördlichsten und zugleich niedrigsten Gipfel des Himmelschrofens leitet. Zwar bietet auch dieser Gipfel schon eine lohnende Aussicht, noch viel versprechender ist jedoch der knapp 90m höhere Mittelgipfel. Von unserem Gipfel sieht man bereits eine Pfadspur aus dem vor uns liegenden Sattel auf der linken Seite des Grats emporziehen. Weiter oben weicht sie dem Grat gelegentlich in die Westflanke aus und man erreicht nach ca. 20 Minuten den Gipfel mit einem zerbrochenen, kleinen Kreuz mit Buch. Die Aussicht ist für einen gerade mal 1760 Meter hohen Gipfel äußerst lohnend und wird nur vom Gipfel des Vorderen Wildgundkopfs noch mal übertroffen. Herrlich ist der Rundumblick auf Oberstdorf, Daumenzug, Höfatsgebirge und Krottenspitzgruppe bis zum Kratzer. Tief unter uns liegen der Himmelsschrofensatz und das Stillachtal mit dem Freibergsee. Es lockt jedoch der noch einmal 30 Meter höhere Südgipfel. Auch dieses Ziel ist in wenigen Minuten erreicht und gibt den Blick frei auf den Vorderen Wildgundkopf und dem im Gratverlauf etwas nach Osten verschobenen Klupper.

An dieser Stelle kann es nun unterschiedlich weiter gehen. Zunächst sollte man überlegen, ob man den Klupper als Gipfelziel in Betracht ziehen möchte oder nicht. Für mich als Gipfelsammler war er natürlich Pflicht, die Aussicht ist auch durchaus lohnend, doch ist sie sehr ähnlich wie vom Südgipfel des Himmelschrofens, der Aufstieg ist etwas mühsam und das Gipfelgefühl wird durch einige Latschen auf der Gipfelwestseite abgeschwächt. der Klupper ist also eher was für Puristen. Eine andere Frage ist, ob man sich den direkten Abstieg in das Kar zwischen Himmelschrofen und Klupper zutraut. Der Weg dorthin ist wegen Latschen teilweise recht mühsam und langwierig und verlangt einiges an Trittsicherheit im oberen Teil des Abstiegs. Eine leichtere und weniger mühsame Alternative bietet die Rückkehr zum Sattel zwischen Mittel- und Nordgipfel, von wo aus man zunächst durch Latschen, dann südlich über steiles Gras zu einer auf der Ostseite entlang ziehenden Pfadspur absteigt (vielen Dank an Winfried Wahl für diesen Routenvorschlag). Selbstverständlich können Sie auch bis zu dem Holzhüttchen zurückkehren und von dort aus den Osthangsteig erreichen. Das Gelände zwischen Hütte und Steig ist aber recht unangenehm, sodass der übersichtlichere direkte Abstieg vom Sattel wohl vorzuziehen ist. Der Osthangsteig ist stellenweise sehr undeutlich und an einigen Stellen ist der Hang einschließlich der Spur abgerutscht. Seine Begehung und insbesondere der weglose Abstieg dorthin erfordern deshalb Trittsicherheit (nicht bei Nässe!) und etwas Orientierungssinn. Landschaftlich ist diese Variante jedoch recht hübsch und ist zumindest von jenen zu bevorzugen, die es bei der Überschreitung des Himmelschrofens belassen wollen und eine zusätzliche dreiviertel Stunde für eine lohnendere Route in Kauf nehmen können. Kurz nach der Umrundung des Kluppers wird die Pfadspur übrigens nochmals sehr undeutlich. Einige Meter weiter werden die Tritte aber wieder deutlicher und bilden sich nach kurzer Zeit zu einem deutlichen Steig aus, der nach vielen Kehren und einem glitschigen Erdabtieg im unteren Abschnitt schließlich nördlich der Truppersoybrücke im Trettachtal endet. Diese Abstiegsvariante ist durchaus zu empfehlen, wenn einem der 4km-Rückmarsch zum Parkplatz nichts ausmacht.

Wenn Sie die direkte Variante bevorzugen, dann steigen Sie links des Grats Richtung Sattel zwischen Himmelschrofen- Südgipfel und Klupper ab. Recht groß ist die Verlockung an verschiedenen Stellen wieder auf den Grat zu queren, was sich aber immer als Fehler erweist. Von einer Pfadspur kann hier nirgends mehr die Rede sein, allerhöchstens finden sich vereinzelt Trittspuren, deren menschliche Verursachung ich allerdings bezweifele. Irgendwann müssen Sie die Entscheidung fällen vollends ins Kar abzusteigen. Die Weiterverfolgung des Grates über den Sattel zum Klupper lohnt keinesfalls, schließlich wird man auf dem Grat selbst wegen Latschen kaum gehen können und der bröselige Grashang auf der Ostseite des Grats, auf den man dann zwangsläufig ausweichen müsste, ist sehr steil und könnte heikel werden. Außerdem befinden sich auf dem Südgrat des Himmelschrofens kurz vor dem Sattel einige Steilschrofen, auf deren Bekanntschaft ich gerne verzichten kann. Verlassen Sie am besten die Grathöhe, wenn diese in Sichtweite kommen. Wer nicht den Osthangsteig als Ziel hat, sollte an dieser Stelle jedoch noch den Übergang zum Klupper studieren. Der Vorgipfel des Kluppers entsendet nach Osten einen mit ein paar Latschen bewachsenen Grasrücken, der in einer ausgeprägten Schulter endet und dann steil in Schrofen zum Steig auf der Ostseite abfällt. Vom unserem Grat steigt man am besten soweit ab, bis man mit möglichst wenig Höhenverlust auf einem schwach ausgeprägten Band unterhalb des steilen und bröseligen Grashangs auf die andere Seite des Kars queren kann. In diesem wildreichen Kar ist man vor Steinschlag nicht sicher, denn auch Gämsen treten mal Steine los, die man aber auf der Grasauflage nicht herannahen hört. Vorsicht ist hier allemal geboten! Auf der anderen Seite steigt man genau bis zu der Stelle auf, an der von der Schulter aus der Rücken zum Vorgipfel hinaufzieht. Auf die Schulter gelangt man am besten in einer Linkskehre kurz vor dem Ansatz des Rückens. Auf dem Rücken geht es dann etwas mühsam, aber ohne weitere Probleme zum Vorgipfel des Kluppers, wobei man einigen sperrenden Latschen nach links ausweicht. Das kurze Stück zum Hauptgipfel ist anspruchsvoller. Hier sollte man schon über etwas Steilgraserfahrung verfügen, Grödeln leisten hier gute Dienste. Man quert zunächst vorsichtig etwas absteigend nach Norden, wobei einige bröselige Passagen beim Queren hohe Konzentration erfordern. Dann geht es über einige Grasstufen steil hinauf zum Gipfel. Auf diesem Photo kann die Querung des Kars und der Aufstieg zum Klupper gut nachvollzogen werden. Wer den Klupper nicht besteigen möchte steigt vom Südgrat des Himmelschrofens einfach weiter in das schnell flacher werdende Kar zum Osthangsteig ab.

Ein sehr lohnendes Gipfelziel dieser Tour ist der Vordere Wildgundkopf, der nun südlich des Kluppers steil und unnahbar aufragt. Er ist anspruchsvoller als die Überschreitung des Himmelschrofens, aber nicht schwierig. Für seine Besteigung kehrt man auf den Grasrücken zurück, auf dem wir von der Schulter aus den Vorgipfel des Kluppers erreicht haben. Von hier aus kann der erste Teil der Aufstiegsroute gut überblickt werden. Zunächst gilt es an geeigneter Stelle in das vor uns liegende Wiesenkar abzusteigen, das weiter südlich von einem mit Latschen und einzelnen Fichten bewachsenen, wenig ausgeprägten Rücken begrenzt wird, welcher noch deutlich unterhalb des steil abfallenden Verbindungsgrats zwischen Klupper und Vorderen Wildgundkopf ausläuft. Das Kar bildet unterhalb des Rückens eine Vertiefung aus, in der man vereinzelt auf Trittspuren und rote Markierungspunkte trifft, die entlang des Rückens ansteigen. Im oberen Bereich wird der Rücken überschritten und man quert auf einer von unserem Standpunkt aus bereits deutlich erkennbaren Pfadspur im steilen Geröllfeld zum Nordostgrat des Vorderen Wildgundkopfs hinüber, auf dem sich der weitere Anstieg vollzieht. Wenn man sich das eingeprägt hat, kann es losgehen. Für den Abstieg ins Kar muss man nicht zwangläufig bis zur Schulter des Kluppers zurückkehren, es bieten sich unterwegs einige sinnvolle Abstiegsmöglichkeiten an. Im Vergleich zum Gipfelbereich des Kluppers ist der Abstieg ins Kar schon fast angenehm. Er ist zwar schon recht steil, aber dafür gibt es hier kaum Bröselgestein. Man quert das Kar mit möglicht wenig Höhenverlust und trifft dann auf die von der Hinteren Ringersgundalpe heraufführende Trittspur. Wenn sie den Klupper nicht bestiegen haben, werden sie nach Umgehung der erwähnten Schulter auf dem Osthangsteig genau auf dieser Trittspur heraufkommen (Achtung: die Trittspuren sind unterhalb der Hinteren Ringersgundalpe nur sehr schwach ausgeprägt, bei Aufmerksamkeit dürften sie aber nicht zu verfehlen sein). Schnell entdeckt man die ersten Markierungspunkte, die nun in regelmäßigen Abständen zum Rücken empor leiten. Über grobes Blockwerk (ebenfalls markiert) erreicht man schließlich den Geröllhang, auf dem man nun auf der erwähnten Pfadspur zum Nordostgrat hinüberquert. Der Aufstieg auf diesem zum Gipfel ist in enger Abfolge markiert, trotzdem passiert es allzu schnell, dass man in dem unübersichtlichen Steilgelände die Markierungen verliert. Wenn sie keine Markierungspunkte mehr sehen sind Sie unter Garantie falsch! Kehren Sie zurück zur letzten Markierung, das Gelände wird hier schnell heikel. Der Anstieg über bröselige Grasschrofen erfordert sicheren Tritt, ein wenig Schwindelfreiheit und Kletterfertigkeit bis I. Er ist für Geübte eher leicht, Ungeübten aber wegen des unzuverlässigen Untergrunds dringend zu widerraten.

Die Aussicht vom Gipfel des Vorderen Wildgundkopfs ist überaus lohnend. Gerade die eher bescheidene Gipfelhöhe von nur 1936m dürfte Grund dafür sein, dass der Ausblick auf die um uns liegende Oberstdorfer Gipfelwelt so fasziniert. Man steht hier nicht über den Dingen, sondern fühlt sich unmittelbar eingebunden in die verwirrende geologische Vielfalt an Landschaftsformen, die das Aussehen der Allgäuer Alpen so unverwechselbar prägen. Nach Norden schaut man über die steilen Abstürze des Himmelschrofengrats hinweg in den Oberstdorfer Talkessel mit der Hörnergruppe, der Nagelfluhkette und dem Grünten im Hintergrund. Im Osten fasziniert der Blick auf die steile Wanne der Höfats und die grünen Fleckenmergelgipfel der Krottenspitzgruppe. Beeindruckend sind hier vor allem die steilen Wandabrüche des Fürschießers, dessen pyramidenförmiger Doppelgipfel von den Felsengipfeln der Krottenspitze und des Großen Krottenkopfs überragt werden. Im Süden bildet die Mädelegabelgruppe hinter dem Kamm des Himmelschrofenzugs einen eindrucksvollen Abschluss, rechts flankiert von Linkerskopf und Biberkopf. Im Westen blickt man auf die schroffen Felsenformen der kleinen Hauptdolomitgruppe um den Alpgundkopf mit den dahinter liegenden Hammerspitzen, welche im geologischen Kontrast zu den weichen Weideflächen des Fellhorngebietes stehen.

Nach einer traumhaft schönen Gipfelrast über Berge und Täler ist es nun Zeit Entscheidungen zu fällen. Der Normalfall wird nun sein, auf der Anstiegsroute vom Gipfel des Vorderen Wildgundkopfs abzusteigen, um dann den Weg zur Truppersoybrücke ins Trettachtal zu nehmen. Wer die Überschreitung bis zum Schmalhorn vollenden will muss wissen, dass er zum momentanen Zeitpunkt noch nicht mal die Hälfte der Zeit unterwegs war, die man für die komplette Überschreitung benötigt. Für den Übergang zum Hinteren Wildgundkopf muss man mit einer guten Stunde rechnen. Bis zum Schalhorn sind es weitere 1 1/2 Stunden. Ebenfalls 1 1/2Stunden muss man auch für den Abstieg nach Einödsbach rechnen. Dann folgt ein 10km-Marsch zurück nach Oberstdorf, der unter zwei Stunden nicht zu bewältigen ist. Der Übergang zum Hinteren Wildgundkopf ist teilweise I, meist aber Gehgelände, welches aber einiges an Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordert. Nur eine Stelle ist mit II zu bewerten. Das sollte aber nicht Ihr erster IIer sein, da die Angelegenheit steil, recht ausgesetzt und auch noch in Abstiegsrichtung erfolgt. Die Stelle befindet sich aber im ersten Drittel des Überganges. Der Übergang zum Schmalhorn verlangt entweder ein geübtes Auge für das Auffinden der besten Durchstiegsmöglichkeit in schwer zu beurteilenden Gelände, oder aber bei der Überkletterung einer Reihe von ausgesetzten und brüchigen Felstürmen eine ordentliche Portion Schwindelfreiheit und Trittsicherheit, gute Nerven und einen mit brüchigen Gestein vertrauten Kletterer, der den II-ten Schwierigkeitsgrad sicher beherrscht. Sehr erleichternd für den Übergang zum Hinteren Wildgundkopf ist die Fortsetzung der roten Markierungen, für welche exakt das Gleiche gilt, wie das zum Aufstieg auf den Vorderen Wildgundkopf Gesagte: Wenn Sie keine Markierungen mehr finden können, sind Sie falsch. Leider schalten Markierungen auch das Gehirn aus und so bin ich kaum in der Lage, den Übergang detailliert zu beschreiben. Umso verwirrter war ich dann, als die roten Markierungen sich nach kurzem Abstieg vom Hinteren Wildgundkopf in Luft auflösten und ich mich dann fern der Anweisung des AV-Führers ("zunächst nach Westen ausweichend") auf das Abenteuer mit den Felstürmen eingelassen habe.

Für den Weitermarsch zum Hinteren Wildgundkopf folgt man der markierten Trittspur, die in ihrem weiteren Verlauf die in der AV-Karte mit 1940m und 1950m eingetragenen Felstürme westlich umgeht. Die Schlüsselstelle des Überganges lässt nicht lange auf sich warten: Ein fast senkrechter, mehrere Meter hoher Felsabbruch muss zu der darunter weiterführenden Trittspur abgeklettert werden. Direkt unterhalb des Felsabbruchs befindet sich ein Absturz zu einer wilden Rinne. Zum Glück wachsen auf dem Felsabbruch noch ein paar Latschen, die zumindest dem Auge einen festen Halt bieten, doch ist die Stelle auch so recht luftig. Etwas hinderlich sind beim Abklettern einige Latschenzweige am oberen Ende der Felswand, sie bieten zugleich aber auch Haltepunkte zum Umgreifen. Nach Umgehung der Grattürme gelangt man wieder auf den Grat, der stellenweise etwas luftig ist und Trittsicherheit beim Queren einiger Bröselpassagen erfordert. Latschenäste bieten hier immer wieder feste Haltemöglichkeiten. Die Tiefblicke ins Trettach- und Stillachtal sind bei diesem Abschnitt des Übergangs besonders eindrucksvoll. Schneller als man denkt erreicht man schließlich den lang gezogenen Gipfel des Hinteren Wildgundkopfs.

Es folgt nun der anspruchsvollste Teil dieser Tour, welchen ich nicht gerade wohlüberlegt angegangen bin. Voll und ganz den weiterführenden Markierungen vertrauend bin ich ohne groß zu überlegen den roten Farbtupfern gefolgt, welche zunächst auf Gras ein Stück die nur mäßig geneigte Westflanke des Hinteren Wildgundkopfs hinableiteten. Dann, an einem Stein mit deutlicher Markierung, suchte ich das Gelände nach weiterleitenden Markierungspunkten ab, vergeblich. Trittspuren gibt es hier keine, oder zumindest keine ausgeprägten. Nachdem ich mir wirklich viel Zeit zum Suchen gelassen habe bin ich dann weiter nach Westen abgestiegen, weil ich südwärts wirklich keine Markierung mehr finden konnte. Ich entdeckte ein geknotetes Plastikbändchen an einem Latschenzweig und traf kurz darauf auf eine quer liegende Latschenwurzel mit einem roten Markierungspunkt. Doch anstatt Richtung Schmalhorn zu leiten ging es nun wieder zurück nach Norden. Noch einmal sah ich weiter absteigend ein Plastikbändchen an einem Latschenast, das war aber dann auch das letzte Markierungszeichen. Ich beschloss nun zunehmend unruhiger wieder Richtung Süden zu queren und dann war ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Die Nordwestflanke des Schmalhorns wird von den Hängen des Hinteren Wildgundkopfs durch eine steile Schotterrinne mit einigen Schrofenstufen getrennt. Gut möglich, dass man hier irgendwo rüberqueren kann, aber eine sichere Geländebeurteilung konnte ich hier nicht machen. Zudem entsendet das Schmalhorn nach Westen einen (zumindest von meinem Standpunkt aus gesehen) scharfen Grat, der zu überqueren wäre und keinen Einblick auf seine andere Seite gewährt. Was tun? Sinnvoll wäre gewesen, weiter im Gras- und Latschengelände abzusteigen und an passender Stelle nach einer Durchstiegsmöglichkeit zu suchen. Wer diese sicherere und leichtere Variante bevorzugt, sollte in Erwägung ziehen, ob er die Himmelschrofenüberschreitung nicht in umgekehrter Richtung durchführen möchte. Das Gelände auf der Schmalhornseite ist angenehmer und übersichtlicher als der Bereich der sich nördlich anschließenden Felstürme. Man kann dann noch bei Kräften in aller Ruhe nach einer günstigen Durchstiegsmöglichkeit auf der Westseite suchen. Hat man die mit Latschen bewachsenen Wiesenhänge des Hinteren Wildgundkopfs erreicht, gelangt man auch ohne Markierungen problemlos zum Gipfel. Findet man hingegen keinen Durchstieg, kann man relativ schnell wieder sicheres Gelände erreichen und bei Wetterumschwung in absehbarer Zeit ins Tal gelangen. Ein gewisser Nachteil ist aber, dass man auf diese Weise die kühle Morgenluft beim Anmarsch im Stillachtal verschenkt. Ich tat auf alle Fälle das Dümmste, was man hätte machen können und bin über einen steilen Wiesenhang entlang der Schutthalden wieder zum Grat hinaufgestiegen. Ich kann von Glück reden, dass diese Entscheidung zum Ziel geführt hat. Leider erinnere ich mich nur noch verschwommen, doch sei Ihnen versichert, dass gewiss immer nur eine Möglichkeit für den Durchstieg existiert. Ich halte die Überkletterung der Türme nur in dieser Richtung für durchführbar, da man so die schwierigsten Stellen nicht abklettern muss, sondern sie in Aufwärtsrichtung bewältigen darf, was bekanntlich einfacher ist. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass diese Route als anspruchsvoll, die Schlüsselstelle auch als heikel zu bewerten ist. Große Teile des Übergangs sind Gehgelände, welche aber ebenfalls hohe Anforderungen an den Begeher stellen. Erschwerend ist auch die Ausgesetztheit des Geländes. Andererseits fasziniert es schon, dass man überhaupt auf diese Weise auf die andere Seite gelangen kann. Ich würde beim nächsten Mal wohl auch wieder diese Route wählen. Jetzt, nachdem ich weiß was auf mich zukommt und dass mir eine Umkehr erspart bleibt, wird mir dieser Abschnitt der Überschreitung sicherlich leichter vorkommen.

Nach kurzem Abstieg vom Gipfel des Hinteren Wildgundkopfs umgeht man zunächst den ersten Felsaufschwung rechts und gelangt wieder auf den Grat (an dieser Stelle bin ich von deutlich weiter unten wieder auf den Grat zurückgekehrt). Man erklettert nun einen Felskopf, auf dessen Rückseite man zunächst links einer Felswand entlang vorsichtig absteigt und schließlich über einen ausgesetzten, mit Latschen bewachsenen Grat zu einem fast senkrechten, oben mit Gras bewachsenen Turm gelangt. Hier muss man hoch und das kostete zumindest mir einiges an Überwindung. Es gibt hier kaum solide Haltegriffe, da die meisten Steine mehr oder weniger lose im grasdurchsetzten Fels stecken. Ein Fehler endet hier garantiert tragisch. Wenn man diesen Teil geschafft hat, kann man aufatmen, das war die Schlüsselstelle. Vorsichtig verfolgt man nun den Grat zu einem senkrecht aufragenden, sich mauerartig fortsetzenden Felsturm, der auf der Westseite auf Gras umgangen wird. Hierzu muss man nach rechts in eine Latschenkiefer hart am Abgrund hineinqueren. Hier nicht versuchen, diese etwas unangenehme Passage links herum auf hinableitenden Erdtritten am Fels entlang umgehen zu wollen. Nach dem kurzen Kampf mit der Latschenkiefer steigt man auf Gras bis zu einem steil aufragenden Kopf des Schmalhorns hinüber, quert unter diesem mit voller Konzentration nach rechts (der Untergrund ist hier mal wieder recht bröselig) und erreicht nun ohne weitere Schwierigkeiten den Nordwestgrat des Schmalhorns (in der AV-Karte nicht eingezeichnet) und auf diesem über mäßig steiles Gras den Schmalhorngipfel.

Eine neue Welt tut sich vor einem auf. Vor uns ziehen weiche Grasbuckel Richtung Spätengundkopf, an dem sich der breite Rücken wieder stärker zusammenschnürt und sich zum Wildengundkopf aufschwingt. Die Felsengipfel der Mädelegabelgruppe bilden einen grandiosen Kontrast zu den reinen Grasgipfeln des südlichen Himmelschrofenzugs. Nach Norden dagegen wilde Felstürme, Wandabbrüche und Latschenkiefern wohin das Auge schaut. Schön ist auch der direkte Blick in den Sperrbachtobel, dem Anstiegsweg zur Kemptner Hütte. Für den Weiterweg steigen wir in den vor uns liegenden Sattel ab und umgehen die folgenden Grashöcker am besten rechts auf Schafwechselspuren. Unterhalb der auf der AV-Karte mit Einödsberg-Egg bezeichneten Erhebung gelangen wir dann "weglos" absteigend zur sichtbaren Vorderen Einödsberg-Alp. Weglos deshalb in Anführungszeichen, weil Schafe den Hang ziemlich zugerichtet haben und ein verwirrendes Netz von Trampelspuren hinterlassen haben, was das Gehen nicht gerade erleichtert. Von hier aus leitet ein breiter Trampelpfad (Pfad und breit steht ein wenig im Widerspruch, aber als Weg kann man das auch nicht bezeichnen) zur Hinteren Einödsberg-Alpe, an der sich ein gigantischer Blick auf die Mädelegabelgruppe mit Linkerskopf eröffnet. Ein echtes Highlight dieser Tour! Von hier aus hat man noch einmal zwei Möglichkeiten: Die erste ist die Fortsetzung des von Schafen vertrampelten Pfads Richtung Norden. Die sicherlich schönere und interessantere Variante ist der Abstieg auf schmaler, aber deutlicher Pfadspur nach Einödsbach, was aber ca. einen Kilometer Umweg bedeutet. In Anbetracht des langen Rückmarschs spricht das wohl eher gegen diese Variante, andererseits wird der eine Kilometer kaum noch ins Gewicht fallen. Immerhin kann man so in Einödsbach noch mal einkehren, denn ein kühles Radler ist nach dieser mühseligen Tour ein unglaublicher Genuss. Bleibt noch der lange Rückmarsch auf dem Asphaltsträßchen zurück zum Parkplatz. Immerhin bietet der Himmelschrofenzug dem stolzen Überschreiter einige schöne Blicke im Licht der Abendsonne. Eine Woche später sind die Strapazen dieser Tour vergessen und es bleiben nur noch die schönen Erinnerungen. Und von diesen gibt es bei dieser Tour genug.

Ergänzung:

Rainer und Bernhard Vavra von www.allgaeuergipfel.de haben ebenfalls den Übergang bis zum Hinteren Wildgundkopf erfolgreich durchgeführt und haben dabei eine Umgehungsmöglichkeit der Steilstufe (mit der Schlüsselstelle) gefunden. Damit ist der Schwierigkeitgrad des gesamten Übergangs klettertechnisch nur noch mit I zu bewerten. Rainer hat mir eine Beschreibung dieser Variante für diesen Tourenbericht zukommen lassen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für diese keinesfalls selbstverständliche Geste bedanken:

Vom oberen Ende der Steilstufe geht man zunächst etwa 3 bis 5 Meter zurück, um dann an einer geeigneten Stelle (mehrere Möglichkeiten) einige Meter durch dichtere Latschen aufzusteigen, wobei man sich bereits wieder etwas rechts hält. Ab hier gibt es angenehmeres Gras zwischen den Latschen, auf dem man die Geröllrinne, die nach der Steilstufe vom Grat herabkommt, erreicht. Theoretisch könnte man hier bereits wieder zum Weg absteigen, aber es ist leichter, durch eine Gasse zwischen den Latschen und unter einem auffälligen Felsblock mit einer weit herausstehenden Ecke hindurch den Weg erst einige Meter später wieder zu erreichen. Interessanterweise gibt es einen ganz ähnlichen Felsblock etwas weiter in Richtung Hinterer Wildgundkopf noch einmal, so dass wir auf dem Rückweg beinahe schon zu früh von dem Weg abgegangen wären um die Stufe zu umgehen. Die Umgehung ist wegen der Latschen eigentlich völlig ungefährlich und leicht, nur bei der Rinne muss man natürlich wie immer konzentriert gehen.

 

Karte

Höhenprofil mit Gehzeiten (ohne Pausen)

Lieber Bergfreund,

bei den auf gipfelsuechtig.de vorgestellten Tourenvorschlägen handelt es sich um außergewöhnlich schöne und spannende Bergfahrten, welche aber mitunter in ihrer Gesamtanforderung als recht anspruchsvoll eingestuft werden müssen. Für eine gefahrlose Nachbegehung sind neben Unternehmungslust und guter Ausrüstung vor allem zwei Dinge von großer Wichtigkeit: Vernunft und alpine Erfahrung. Die jährlich steigende Anzahl teils tödlicher Bergunfälle zeigt, dass viele Bergbegeisterte sich in Ihrem Unternehmungsdrang überschätzen oder dem alpinem Gelände nicht den nötigen Respekt zollen. Besonders erschreckend ist bei näherer Betrachtung, dass es sich hierbei noch nicht einmal immer um besonders anspruchsvolle Touren handelt.

Meine dringende Bitte an Sie ist deshalb: Überprüfen Sie kritisch Ihre Bergerfahrung und lassen Sie bei Auswahl und Durchführung der Touren Vernunft walten. Nicht die schwierigste Tour ist die schönste, sondern jene, welche an Ihre individuelle Bergerfahrung angepasst ist. Es wäre für mich als Autor dieser Seite furchtbar, wenn Ihnen aufgrund meiner Tourenvorschläge etwas zustoßen sollte.

Die Bewertung der Schwierigkeiten auf meiner Seite erfolgt in der Regel sachlich und eher streng, was erfahrenen Gehern die korrekte Einordnung der Anforderungen erleichtern soll. Berücksichtigen Sie bitte, dass sich auch meine leichteren Touren teilweise in alpinerem Gelände mit allen damit verbundenen Risiken bewegen. Eine genauere Einordnung der von mir bei der Tourenbewertung verwendeten Schwierigkeitsskala finden Sie unter "Verschiedenes -> Bewertungen".

Wann immer Sie unsicher sind oder noch Fragen haben: Schreiben Sie mir eine Email oder rufen Sie mich einfach an (siehe Angaben unter "Impressum"). Ich helfe immer gerne weiter! Ich wünsche Ihnen schöne und erfolgreiche Bergtouren.

Boris Stephan (Webmaster gipfelsuechtig.de)

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