Über den Gatschkopf auf die Parseierspitze

Die Parseierspitze ist nicht nur der höchste Gipfel der Lechtaler Alpen, sondern mit 3036 m Höhe zugleich auch der einzige Dreitausender der gesamten Nördlichen Kalkalpen. Der weithin sichtbare Gipfel überragt seine unmittelbaren Nachbarn um mehr als 70 m und bietet umfassende Rundumsicht, welche bei klarer Luft auch die anspruchvollsten Erwartungen zufrieden stellen dürfte. Der scharfe Ostgrat verleiht der Parseierspitze zusammen mit dem sehr schwierigen, nicht weniger scharf zugespitzten Nordgrat insbesondere aus nordöstlicher Richtung, wie z.B. von den Gipfeln der östlichen Hornbachkette in den Allgäuer Alpen, ein elegantes und unverwechselbares Erscheinungsbild. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet der Fleckenmergel, welcher den allgegenwärtig wirkenden Erosionskräften bekanntermaßen besonders wenig entgegenzusetzen hat, diesen hohen Gipfel aufbaut. Aus der Nähe betrachtet ist allerdings auch kaum zu übersehen, dass die Parseierspitze ihre besten Tage wohl auch schon lange hinter sich gelassen hat. Und ohne der markanten schwarz-roten Haube aus widerstandsfähigen Aptychenkalken wäre die sogenannte "Königin der Nördlichen Kalkalpen" wohl auch heute nicht mehr in der Lage, ihren Thron mit noch solch beachtlichem Abstand zu verteidigen.

Dem regelmäßigen Besucher dieser Seite wird natürlich sofort aufgefallen sein, dass sich mit der Parseierspitze wieder einmal ein Modegipfel auf meine Homepage geschlichen hat. Doch das Wort "Mode" will hier vorsichtig definiert sein, denn anders als z.B. beim Hochvogel in den Allgäuer Alpen wird die Parseierspitze bis auf wenige Wochenenden während der Saison nur wenige Male am Tag bestiegen. Wer die Ruhe und Einsamkeit liebt und über hervorragende Kondition verfügt, dem sei – günstige Verhältnisse einmal vorausgesetzt - eine Besteigung nach Schließung der Augsburger Hütte ans Herz gelegt. So traf ich bei herrlichstem Fönwetter Mitte November 2005 während der gesamten Tour keine Menschenseele. Sicherlich ist eine Besteigung zu solch später Jahreszeit nicht in allen Jahren möglich, doch die steile Parseierspitz-Südflanke, über die der Normalanstieg verläuft, apert auch nach ersten Herbstschneefällen schnell wieder aus.

Dass die Parseierspitze trotz ihrer Sonderrolle in den Nördlichen Kalkalpen nicht überlaufen ist, wird wohl in erster Linie auf die am Gipfelaufbau beginnenden Schwierigkeiten zurückzuführen sein. Die letzten gut 200 Höhenmeter erfordern durchgehende, meist leichte Kletterei bis I+, nur eine Passage in der Mitte der Flanke sowie die ersten Höhenmeter über dem Grinner Ferner sind mit II zu bewerten. Jedoch sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hier um einen Anstieg im freien Fels ohne Sicherungen handelt, welcher den ersten Schwierigkeitsgrad nirgends nennenswert unterschreitet. Außerdem beträgt die durchschnittliche Neigung der Südflanke gut 50°, sodass der Anstieg im Gesamtprofil trotz Markierungspunkten keinesfalls allzu leichtfertig unterschätzt werden darf. Wer sich den Anstieg zutraut, der darf sich auf eine sehr schöne und lohnende Hochtour in eindrucksvoller Landschaft freuen. Die Mitnahme von Steigeisen ist unabhängig von der Jahreszeit anzuraten, auch wenn sich dann herausstellen sollte, dass man auf das Zusatzgewicht hätte verzichten können. Denn sowohl der Grinner Ferner als auch der hier vorgeschlagene Abstieg über die Gasillschlucht kann ohne Eisen bei Vereisung oder steilen Schneefeldern schnell unangenehm bzw. gefährlich werden. Erkundigen Sie sich während der Saison im Zweifelsfall besser auf der Augsburger Hütte nach den aktuellen Verhältnissen am Grinner Ferner und in der Gasillschlucht.

Ausgangsort für die Besteigung der Parseierspitze ist das Gebirgsdorf Grins bei Landeck am östlichen Ende des Stanzer Tals. Vom Fernpass kommend halten wir uns in Landeck nach dem Bahnhof rechts und können dann eigentlich die Abzweigung nach Grins auf der anderen Flussseite nicht mehr verfehlen. Zum Hüttenparkplatz gelangen wir, wenn wir der Hauptstraße in Grins nach links folgen und dann nach Überquerung des Mühlbachs nach rechts abbiegen. Hier bald nach rechts, dann wieder nach links erreichen wir über ziemlich schmale Sträßchen und Gassen den Parkplatz in Nähe des Freibads.

Wir folgen der hier beginnenden Forststraße durch eine Doppelkehre und bleiben dieser treu, bis linker Hand an einer Bank mit Kreuz ein Wiesenweg abzweigt. Dieser zieht in zunächst nordwestlicher Richtung in angenehm angelegter Steigung empor und überquert schließlich nach einem Richtungswechsel den Gasillbach. Hier nehmen wir an einer Wegegabel nicht den längeren und wohl auch mühsameren Weg über den Ochsenberg zur Augsburger Hütte, sondern wandern direkt auf die weithin sichtbare, oberhalb eines Felsabbruchs errichtete Hütte zu. Doch bis zur ihr hinauf sind noch rund 700 hm zu überwinden. Der Steig umgeht den Felsabbruch westlich über das Gasilltal und quert dann hoch über der Felswand zur Hütte hinüber.

Unser erstes Gipfelziel ist der Gatschkopf, dessen mächtiger abgerundeter Gipfel uns schon beim Aufstieg zur Hütte aufgefallen ist. Der stellenweise nur schwach ausgeprägte Steig verläuft zunächst über Grasschrofen, später durch teilweise brüchiges Fleckenmergelgelände und ist insgesamt schon recht alpin. Auch wenn der Steig keine nennenswerten Schwierigkeiten aufweist, ein Promenadenweg ist dieser Anstieg sicherlich nicht. Etwas Trittsicherheit und Spaß an solch alpinem Gelände (kurze Kraxelstellen bis I-) sollten bei einer Besteigung jedenfalls nicht fehlen. Der fortgeschrittene Wanderer, welcher gerne auch mal kurz Hand anlegt, wird an diesem interessanten und aussichtsreichen Anstieg sicherlich seine Freude haben. Übrigens habe ich beim Aufstieg zum Gatschkopf jede Menge Steinböcke, gesehen, welchen ich teilweise auch ziemlich nahe kommen durfte. Wie das während der Saison aussieht kann ich allerdings nicht beurteilen. Unser Steig erreicht schließlich die Grathöhe, wo wir über den auffallend rossfarbenen Schutt der Partnachschichten bald den behäbig breiten Gipfel mit Kreuz und Buch erreichen.

Der immerhin vierthöchste Gipfel der Lechtaler Alpen bietet uns eine umfassende Rundumsicht, welche nur von der alles überragenden Parseierspitze mit den sich südlich anschließenden, imponierend über dem Grinner Ferner in den Himmel strebenden Türmen der Bockkarspitzen etwas eingeschränkt wird. Wem die Parseierspitze als zu schwierig erscheint, dem sei trotzdem der Gatschkopf als lohnendes Einzelziel ans Herz gelegt. Besonders lohnend wird diese Einzelbesteigung, wenn man den Abstieg durch die Gasillschlucht wählt, welche allerdings etwas schwieriger und stärker von den vorliegenden Verhältnissen abhängig ist, als die Route über die Südflanke - mehr hierzu weiter unten im Text.

Die von unserem Standpunkt aus zweifelsohne eleganteste und eindrucksvollste Route auf die Parseierspitze wäre der Anstieg über den ungemein zugespitzten Ostgrat, welcher hinter der Patrolscharte eindrucksvoll zum Gipfel leitet. Wer sich für diesen Anstieg interessiert, dem sei die Internetseite von Egon Ganahl (www.sy-binna.de) empfohlen. Die Schwierigkeiten bewegen sich wohl insgesamt noch eher im oberen II-ten Grad, doch sind absolute Schwindelfreiheit und Erfahrung in brüchigstem Mergelgelände unabdingbare Voraussetzung für eine "gefahrlose" Begehung dieser Route. Mit Günther Laudahn kenne ich zumindest einen erfahrenen Bergsteiger, welcher eine Besteigung im unteren Drittel des Ostgrats abgebrochen hat. Wer die z.T. recht anspruchvollen Touren seiner Bergbücher kennt, dürfte dies zumindest eine grobe Vorstellung von den hier auftretenden Schwierigkeiten vermitteln.

Für die Benutzung der Normalroute über die Südflanke folgen wir dem breiten Schuttrücken des Gatschkopfs hinab zur Patrolscharte und steigen hier soweit über steilen Schutt und brüchige Schrofen ab, bis wir über Schutt, Schnee oder Eis (ggf. Steigeisen erforderlich) unterhalb der steilen Südflanke der Parseierspitze queren können. Der Einstieg befindet sich etwa in der Mitte der Flanke. Die erste Markierung, ein größeres rotes Kreuz mit Kringel einige Höhenmeter oberhalb in der Flanke, ist zumindest für den vom Gatschkopf aus kommenden Bergsteiger etwas ungeschickt angebracht. Der Aufstieg zu dieser Markierung über steile, schuttbedeckte Schrofen und etwas griffarmen Platten bildet schon fast die Schlüsselstelle des Anstiegs (II). Dann geht es den in Aufstiegsrichtung nicht immer sinnvoll platzierten Markierungen folgend in schöner Kletterei (bis I+) von Band zu Band empor. Der zu Beginn noch schuttdurchsetzte Fels wird recht bald zuverlässiger und weist für den sonst so brüchigen Fleckenmergel beachtlich klettertaugliche Qualitäten auf. Die Mitnahme eines Steinschlaghelmes ist insbesondere bei Vorausgehenden trotzdem anzuraten. Die Schlüsselstelle bildet die Querung einer griffarmen Platte mit einem steilen Aufschwung entlang einer Plattenverwerfungszone (II). Im oberen Drittel leiten die bisher etwas in westlicher Richtung driftenden Markierungen wieder ostwärts an das untere Ende der bunten Aptychenkalkhaube heran, wo wir in schöner Kletterei bald den Gipfel erreichen.

Vom Gipfel eröffnet sich uns ein Panorama, welches wohl kaum irgendwelche Wünsche offen lässt. Weit reicht der Blick nach Osten über den Inselberg Tschirgant hinweg bis ins Karwendelgebirge. Nördlich des Tschirgants erblicken wir die östlichen Gipfel der Lechtaler Alpen, dahinter das Wettersteinmassiv mit der sich südlich anschließenden Mieminger Kette. Rechts des Tschirgants schauen wir in das weitläufige Gebiet der Stubaier Alpen, davor die 3 Nordzüge der Ötztaler Alpen, wo die Wandfluchten der Watzespitze im Kaunergrat und das leuchtende Weiß der Wildspitze am südlichen Horizont besonders markant hervor treten. Von der jenseits des Inntals liegenden Samnaungruppe und der weit dahinter aufragenden Ortlergruppe schweift der Blick weiter zur Silvretta-Gruppe (hinter dem direkt vor uns liegenden Südl. Schwarzen Kopf) zum jenseits des Stanzer Tals thronenden Hohen Riffler, dem höchsten Gipfel der Vervallgruppe. Links der Lechtaler Valluga-Gruppe erkennen wir am westlichen Horizont den Schesaplana mit dem Brandner Gletscher im Rätikon. Hinter dem Stierlahnzugjoch zwischen Vorderseespitze und Feuerspitze erblicken wir die Klostertaler Alpen. Faszinierend überragt der turmartige Bau der Holzgauer Wetterspitze die westlichen Gipfel der Lechtaler Alpen und ganz in der Nähe ist es mal wieder die Freispitze, welche mit ihrer steilen Südkante aus hellem Rätkalk und den extrem steilen Grasplanken ihres ungemein zugespitzten Ostgrats (Jägerrücken) unsere Aufmerksamkeit weckt. Im Norden überblicken wir den gesamten Südteil der Allgäuer Alpen vom Großen Widderstein (rechts der Holzgauer Wetterspitze) über die Gipfel des zentralen Allgäuer Hauptkamms und der Hornbachkette bis zur Tannheimer Gruppe. Ein umfassenderer Aussichtspunkt dürfte in den gesamten Nördlichen Kalkalpen kaum zu finden sein.

Vorsichtig steigen wir auf der Anstiegsroute zum Grinner Ferner ab. Hier bietet sich für den Abstieg ins Tal die Route über die Gasillschlucht an. Diese besonders im oberen Drittel landschaftlich eindrucksvolle Route ist im Vergleich zur Parseierspitze als leicht zu bewerten, insbesondere im Abstieg erfordert sie jedoch Trittsicherheit und Schwindelfreiheit und setzt (ohne Steigeisen) im Frühsommer und Herbst günstige Verhältnisse voraus. Wir halten auf ein gut sichtbares Wegeschild am unteren Ende des Grinner Ferners zu, welches uns zum Einstieg der Schlucht leitet. Die Route leitet zunächst noch harmlos über die gut gestuften Felsbänder der Fernerwand hinab, verläuft dann aber ziemlich spektakulär durch die Wand über ein seilgesichertes Band, überquert eine steile Rinne, welche in der frühen Jahreszeit noch ein rund 60° steiles Schneefeld darstellt (Steigeisen) und leitet schließlich zu einem sehr steilen Felsabbruch hinab zum Geröllboden. Der Fels ist zwar mit einigen Eisenklammern entschärf, trotzdem kommen wir nicht umhin, auch mal den ein oder anderen Fuß auf dem Fels zu platzieren. Wer hier nicht schwindelfrei ist, bekommt im Abstieg garantiert Probleme. Wer die Parseierspitze bestiegen hat mag diesen Hinweis ignorieren, doch wer nur den Gatschkopf bestiegen hat und sich hier beim Aufstieg über die Südflanke nicht absolut sicher gefühlt hat, sollte von dem Abstieg über die Gasillschlucht meines Erachtens besser Abstand nehmen. Im Aufstieg ist der klettersteigähnlich angelegte Steilaufschwung sicherlich etwas angenehmer, doch bedeutet dies, dass Sie für den Aufstieg zur Fernerwand einige Tropfen Schweiß vergießen müssen. Denn auch in Abwärtsrichtung entpuppt sich die harte Geröllauflage der breiten Schlucht als Schinder und verlangt konzentriertes Gehen – zugegeben kein besonders angenehmer Abstieg nach dieser Tagesleistung. Doch schließlich gelangen wir zum bereits bekannten Hüttenweg, welcher uns insgesamt recht angenehm zurück zum Parkplatz leitet. Falls Sie sich im unteren Teil unsicher bezüglich der richtigen Route sind: Immer den Hinweisschildern Richtung "Freibad" folgen.

Karte

Höhenprofil mit Gehzeiten (ohne Pausen)

Lieber Bergfreund,

bei den auf gipfelsuechtig.de vorgestellten Tourenvorschlägen handelt es sich um außergewöhnlich schöne und spannende Bergfahrten, welche aber mitunter in ihrer Gesamtanforderung als recht anspruchsvoll eingestuft werden müssen. Für eine gefahrlose Nachbegehung sind neben Unternehmungslust und guter Ausrüstung vor allem zwei Dinge von großer Wichtigkeit: Vernunft und alpine Erfahrung. Die jährlich steigende Anzahl teils tödlicher Bergunfälle zeigt, dass viele Bergbegeisterte sich in Ihrem Unternehmungsdrang überschätzen oder dem alpinem Gelände nicht den nötigen Respekt zollen. Besonders erschreckend ist bei näherer Betrachtung, dass es sich hierbei noch nicht einmal immer um besonders anspruchsvolle Touren handelt.

Meine dringende Bitte an Sie ist deshalb: Überprüfen Sie kritisch Ihre Bergerfahrung und lassen Sie bei Auswahl und Durchführung der Touren Vernunft walten. Nicht die schwierigste Tour ist die schönste, sondern jene, welche an Ihre individuelle Bergerfahrung angepasst ist. Es wäre für mich als Autor dieser Seite furchtbar, wenn Ihnen aufgrund meiner Tourenvorschläge etwas zustoßen sollte.

Die Bewertung der Schwierigkeiten auf meiner Seite erfolgt in der Regel sachlich und eher streng, was erfahrenen Gehern die korrekte Einordnung der Anforderungen erleichtern soll. Berücksichtigen Sie bitte, dass sich auch meine leichteren Touren teilweise in alpinerem Gelände mit allen damit verbundenen Risiken bewegen. Eine genauere Einordnung der von mir bei der Tourenbewertung verwendeten Schwierigkeitsskala finden Sie unter "Verschiedenes -> Bewertungen".

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Boris Stephan (Webmaster gipfelsuechtig.de)

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