Auf die Dremelspitze

Die Dremelspitze darf man guten Gewissens als den schönsten Hauptdolomitgipfel der Lechtaler Alpen bezeichnen. Mit ihrem bildschönen gleichförmigen Pyramidengipfel bildet die Dremelspitze das Prunkstück der Bergumrandung der Hanauer Hütte und drängt von diesem Betrachtungsstandpunkt aus selbst das bedeutend mächtigere und höhere Schlenkerspitzmassiv fast völlig ins Abseits. Erst beim genauen Hinsehen erkennt man, dass es sich bei der Dremelspitze in Wahrheit keinesfalls um eine kompakt aufgebaute Felspyramide handelt. Vielmehr ragt die fein zugespitzte, nach Osten und Westen mit abweisenden Wänden abbrechende Gipfelkrone aus einem kunstvoll auf- und ineinandergestapelten System von scharfen Graten und Rippen, Pfeilern und Türmen mit ebenso unzähligen tief eingeschnittenen Schluchten und Rinnen hervor, welche nur beim Anblick von Norden durch die fehlende Tiefeninformation den Eindruck einer Pyramide ergeben.

Die Dremelspitze gehört zu den wenigen Gipfeln dieser Website, welche verhältnismäßig häufig erstiegen wird. An den Wochenenden der Saison wird man wohl nur selten alleine am Gipfel sein, ein echter Modegipfel ist die Dremelspitze dennoch nicht. Dies hat sehr wohl seine Gründe, denn obwohl der rd. 300 Höhenmeter umfassende Gipfelanstieg durchgehend markiert ist, gehört die Dremelspitze zu den anspruchsvollsten Gipfelvorschlägen dieser Seite, deren Gesamtanspruch meines Erachtens in den alten Führerwerken wesentlich besser umschrieben ist als in den neueren Auflagen. Vor allem das Anhalten der Schwierigkeiten in dem stets sehr steilen und durch Absturzgelände verlaufenden Anstiegs erhöht den empfundenen Schwierigkeitsgrad doch merklich. Wer nebst Trittsicherheit und Schwindelfreiheit nicht sicher von sich behaupten kann, den (ungesicherten) II-ten Schwierigkeitsgrads sicher zu beherrschen, sollte meiner Meinung nach besser die Finger von diesem Berg lassen, denn Fehler verzeiht die Dremelspitze nur an ganz wenigen Stellen. Wer sich den Anforderungen jedoch gewachsen fühlt, den erwartet eine spannende und abwechslungsreiche Felstour mit vielen sehr schönen Kletterstellen in (für Hauptdolomit-Verhältnisse) meist brauchbarem bis festem Fels.

Zu einem Tourenbericht auf die Dremelspitze habe ich mich vor allem deshalb entschieden, weil ich im WorldWideWeb kaum hilfreiche Informationen zu den Schwierigkeiten der Normalroute finden konnte und dann mit etwas unwohlem Gefühl im Bauch die Sache schließlich solo angegangen bin. Und es war gut, dass ich diesem Berg im Voraus so viel Respekt gezollt hatte, denn an den Schlüsselstellen habe ich mir dann doch recht ungläubig die Stirn gerieben.

Eine Anmerkung noch zur Route: Generell kann gesagt werden, dass ohne die Markierungen die Orientierung in dem unübersichtlichen Steilgelände als sehr anspruchsvoll zu bewerten wäre. Andererseits ist die Route weitaus besser durch das Gelände vorgegeben, als man den wenigen Angaben im Alpenvereinsführer entnehmen würde. Um einen Gesamteindruck vom Anstieg zu vermitteln, habe ich die Route wie gewohnt im Detail beschrieben und hoffe, dass dies auch im Interesse der meisten Besucher meiner Seite ist.

Ausgangsort ist der gebührenfreie Parkplatz der Hanauer Hütte in dem kleinen Bergbauerndorf Boden im Bschlaber Tal, welches uns mit rd. 1350 m eine gute Ausgangshöhe bietet. Wir folgen den Hinweisschildern Richtung Hanauer Hütte und erreichen bald darauf den Grund des Angerletals. Nach Durchquerung eines etwas eintönigen bewaldeten Abschnitts öffnet sich urplötzlich das Tal, wo sich uns zum ersten Mal die Dremelspitze in voller Schönheit präsentiert. Westlich der Dremelspitze erkennen wir die weniger elegante Gipfelschneide der Schneekarlespitze, welche geduckt ihr Haupt fast 100 Meter niedriger als die Dremelspitze hält, als ob sie der Herrscherin des Parzinns so Respekt und noch mehr Prestige verleihen möchte. Im Vordergrund ist auf einer erhöhten Schulter bereits die Hanauer Hütte sichtbar. Unser stolzes Gipfelziel stets im Visier wandern wir ohne besondere Mühe weiter taleinwärts und gelangen schließlich an der Materialseilbahn vorbei zum steilen Talschluss des Angerletals, wo wir uns für den noch 300 Höhenmeter umfassenden Anstieg zur Hütte für kurze Zeit von der Dremelspitze verabschieden müssen. Etwas länger als zunächst erwartet, aber dennoch nur gut 2 Stunden nach Aufbruch von Boden, erreichen wir die von eindrucksvollen Gipfeln umrahmte Hanauer Hütte.

Nur den wenigsten Gipfelaspiranten wird es wohl gelingen, auf der Hanauer Hütte nun erstmal genussreich Pause zumachen, denn der gewaltige Blick auf die alles beherrschende Pyramide der Dremelspitze wird sicherlich auch Sie nervös mit den Hufen scharren lassen. Zu langes Verweilen ist auch nicht unbedingt ratsam, denn bis zum Gipfel müssen wir noch mindestens 3 Stunden Gehzeit ansetzen, was ziemlich viel für 800 Höhenmeter ist. Aber die steile Kletterei am Gipfelaufbau bringt das mit sich, zumal die Vordere Dremelscharte noch viel weiter entfernt ist, als man von der Hütte aus erwarten würde.

Nach Aufbruch von der Hanauer Hütte geht es einige Meter hinab in eine Mulde. Wir ignorieren dort die erste Abzweigung nach rechts Richtung Gufelseejoch und nehmen an der zweiten Wegegabel den beschilderten Wandersteig hinauf zur Vorderen Dremelscharte. Die ersten Versuche, durch Tempo schneller an Höhenmeter zu gewinnen, lässt man bald wieder bleiben – viel zu gemütlich schlängelt sich der Pfad durch das flach ansteigende Gelände, welches weiter oben dann in steinige Geröllhänge übergeht. Der Steig ist gut markiert, aber so ein richtig ausgetretener Steig findet sich hier – typisch für die Lechtaler Alpen – nicht. Wir folgen dem Steig bis knapp unter die Scharte, wo uns links der Scharte ein natürlicher, überdimensionaler Steinmann von einem blockartigen Grataufschwung herunter grüßt. Weiter links ragt ein wuchtiger Gratturm auf, unter welchem wir nun auf der Nordseite, den roten Pfeilen und Markierungen folgend, hindurchqueren. Wir gelangen so in eine schuttreiche Rinne, welche hinauf in eine scharf eingeschnittene Gratscharte östlich des Turms leitet. Etwa auf halber Höhe wird die Rinne von einem kaminartigen, übermannshohen Steilaufschwung unterbrochen, welchen wir in der rechten Begrenzungswand überlisten (II-). Mein Tipp: Prägen Sie sich die kleinen Tritte und Griffe gut ein! Sie erscheinen im Aufstieg trivial, im Abstieg sind sie hingegen von oben kaum auszumachen. Wer sich hier bereits nicht 100%ig sicher fühlt, sollte umgehend umkehren, denn es wird noch eine ganze Ecke schwieriger.

Die Scharte erreicht erhalten wir zum ersten Mal einen Blick auf den wohl einzigen Hauptdolomitgipfel der Lechtaler Alpen, welcher der Dremelspitze ihren Schönheitstitel ernsthaft streitig machen könnte: der Bergwerkskopf. Dieser nach einem Bergsturz noch bis Ende des 19. Jahrhunderts als unbesteigbar deklarierte, fast völlig frei stehende Turm zeigt uns seine abweisendste Seite, eine rd. 200 m hohe Gipfelwand, welche in riesigen, weit doppelt so tief fußenden Geröllhalden zu ertrinken scheint. Tief unter uns ruht blau-grün schimmernd der Steinkarsee – wahrhaftig eine großartige Szenerie!

Nachdem wir uns fürs erste am Bergwerkskopf satt gesehen haben, wenden wir uns wieder dem weiteren Aufstieg zu. Ein gut gangbares, von einzelnen Schrofen durchsetztes Geröllband leitet in die sehr steile Südflanke der Dremelspitze hinaus. Wir folgen den roten Markierungen, bis Platten ein Weiterkommen verwehren und klettern noch einige Meter zuvor nach links über einen Steilaufschwung (II) zu einem parallel zur Falllinie der Südflanke verlaufenden Riss. Das Gelände legt sich bald darauf etwas zurück und wir folgen den Schrofen entlang des Risses in genussreicher Kraxelei (I+) bis an sein abruptes Ende.

Die Markierungen leiten nun nach links auf einen etwas exponierten kleinen Absatz, wo uns die bisher eher gedrungen wirkende Schneekarlespitze ein völlig unerwartetes Gesicht zeigt. Senkrecht aufgestellte Hauptdolomitschichtungen formen einen von der Vorderen Dremelscharte gipfelwärts ziehenden, turmreichen Zackengrat mit nahezu senkrechten plattigen Abstürzen in das Parzinn- und Steinseegebiet. Nie hätte man beim Anblick der Schneekarlespitze von der Hanauer Hütte aus eine so schneidige Erhebung erwartet.

Der kleine Absatz, auf dem wir nun stehen, befindet sich auf einem quer in der Südflanke verlaufenden Grat, welcher die linke Begrenzungsrippe einer nach Westen hinabziehenden, sehr steilen Schlucht darstellt. Auf dem Grat zieht eine Steilrinne empor, welche den weiteren Anstieg vermittelt. Die ersten Meter würde ich mit II+ bewerten, dann aber werden die Griffe und Tritte zunehmend größer und die Rinne legt sich im weiteren Verlauf immer weiter zurück, sodass die Kletterei im oberen Teil eher im oberen ersten Schwierigkeitsgrad anzusiedeln ist. Die parallel verlaufende Schlucht endet schließlich an einer quer verlaufenden Seitenrippe, über deren luftigen Blockgrat wir hinwegqueren.

In Folge queren wir in dem sehr steilen Gelände, immer auf die regelmäßigen Markierungen achtend, über mehrere querlaufende Felsrippen hinweg, welche sich auf der anderen Seite teilweise durch kurze Kamine verteidigen, Schlüsselstelle II. Auch wenn diese Querung nicht zu den Schlüsselstellen des Anstiegs zählt: Große Vorsicht ist auch hier allemal geboten, denn knapp neben uns gibt es kein Halten mehr. Besonders beim Abklettern der Kamine gilt es, auf keinen Fall den hier teilweise vorherrschenden brüchigen Tritten und Griffen zu vertrauen.

Wir gelangen schließlich zu einem breiten Schuttabsatz, welcher im oberen Drittel einer nach Süden wild abstürzenden Schlucht eingelagert ist. Die Schlucht ist von eindrucksvollen, nahezu senkrechten Wänden umgebenen und schnürt sich gleich oberhalb sehr schmal zusammen. Die Markierungen leiten nun über sehr steile Schrofen etwas gewagt in die linke Begrenzungswand hinauf, wo ein schmales Felsband ansetzt. Durch den ersten, von einem Felszacken gebildeten Spalt können wir uns gerade noch hindurchzwängen, an dem unmittelbar darauffolgenden zweiten Spalt dürfte dies aber auch dem schmalsten Bergsteiger (zumindest mit Rucksack) nicht mehr gelingen – die psychische Schlüsselstelle des Anstiegs ist erreicht. Es gilt nun Beine und Arme zu sortieren und sich luftig über der Schlucht an ausgezeichneten Griffen an dem Felszacken entlangzuhangeln, um dann mit einem beherzten Schritt zu einem senkrecht abrechenden Absatz innerhalb der Schlucht hinüberzuspreizen (II+). Von hier steigen wir am Grund der nun wieder breiteren Schlucht über Geröll und Blockwerk zu deren oberen Ende auf.

Wir wenden uns nach rechts und gelangen so in eine weitere Rinne, welcher wir im wesentlichen bis zum Gipfel treu bleiben. Sie ist brüchiger als die vorangegangenen Rinnen, dafür ist sie zunächst nicht so steil und nur mit I zu bewerten. Einem ungangbaren schluchtartigen Rinnenabschnitt weichen wir rechts über gerölldurchsetzte Schrofen aus und erreichen bald darauf das steile Schlussdrittel der Rinne, wo die Kletterei wieder ernster wird (II). Die klettertechnische Schlüsselstelle ist ein kurzer, etwas glattwandiger Kamin, welcher im Ausstieg nur in Form einer verkeilten Platte einen vernünftigen Henkelgriff bietet. Ob dieser Griff auch auf Jahre hinweg vorbehaltlos zu empfehlen ist, entzieht sich leider meinem Einschätzungsvermögen. Ich war im Abstieg zumindest sehr darauf bedacht, der Platte keinen unnötigen Hebel nach oben zu geben und beruhigte mich damit, dass sich an diesem Griff bestimmt schon viel schwerere Leute rangehängt haben. Klettertechnisch würde ich den Kamin mit III- bewerten, wobei der kleine Absatz am Fuß des Kamins die Angelegenheit psychisch auch nicht unbedingt einfacher macht. Danach geht es über weitere, sehr steile Schrofen (II) in wenigen Minuten zum nahen Gipfel empor.

Das Gipfelpanorama dürfte bei klarer Sicht auch anspruchsvollere Erwartungen zufrieden stellen. Beinahe ungehindert ist der Blick nach Süden in die Zentralalpen, nur der Parseierspitzkamm versperrt uns hier einen Teil des Weitblicks – kein Wunder, ist die Parseierspitze auch rund 300 Meter höher als die Dremelspitze. Neben dem kolossalen Schlenkerspitzmassiv im Südosten und dem imponierenden Bergwerkskopf im Süden beeindruckt vor allem der Blick nach Westen über die wild gezackten Hauptdolomitgipfel des Parzinns und Medriols hinweg zum Freispitz- und Wetterspitzkamm. Prächtig auch der Blick nach Norden in die Allgäuer Alpen, welche wir vom Biberkopf mit dem zentralen Allgäuer Hauptkamm über die 15km lange Hornbachkette und Vilsalpseegruppe hinweg bis zur Tannheimergruppe überblicken können. Einziger Wermutstropfen: Der Blick auf die bedeutende Felsmauer der Heiterwand wird uns von dem Schlenkerspitzmassiv versperrt. Dafür genießen wir die Fernsicht nach Osten über das Wettersteingebirge und die Mieminger Kette hinweg bis ins rd. 70 km entfernte Karwendelgebirge.

Nach genussreicher Rast und einem Eintrag ins Gipfelbuch kehren wir auf bekannter Route zur Vorderen Dremelscharte zurück. Da die Schwierigkeiten im Abstieg bekanntlich nicht gerade einfacher werden, sollten Sie hierfür mindestens die gleiche Zeit wie für den Aufstieg kalkulieren. Lassen Sie sich von niemand in Ihrem Tempo drängen – das Gelände der Dremelspitze verlangt absolute Konzentration und bedachtes Klettern über die gesamte Länge. Zurück an der Hanauer Hütte genießen wir bei einer letzten Stärkung den Blick auf unseren bezwungenen Traumberg, bevor wir den gut einstündigen Rückweg nach Boden in Angriff nehmen, wo unsere außergewöhnliche Bergtour endet.

Karte

Höhenprofil mit Gehzeiten (ohne Pausen)

Lieber Bergfreund,

bei den auf gipfelsuechtig.de vorgestellten Tourenvorschlägen handelt es sich um außergewöhnlich schöne und spannende Bergfahrten, welche aber mitunter in ihrer Gesamtanforderung als recht anspruchsvoll eingestuft werden müssen. Für eine gefahrlose Nachbegehung sind neben Unternehmungslust und guter Ausrüstung vor allem zwei Dinge von großer Wichtigkeit: Vernunft und alpine Erfahrung. Die jährlich steigende Anzahl teils tödlicher Bergunfälle zeigt, dass viele Bergbegeisterte sich in ihrem Unternehmungsdrang überschätzen oder dem alpinem Gelände nicht den nötigen Respekt zollen. Besonders erschreckend ist bei näherer Betrachtung, dass es sich hierbei noch nicht einmal immer um besonders anspruchsvolle Touren handelt.

Meine dringende Bitte an Sie ist deshalb: Überprüfen Sie kritisch Ihre Bergerfahrung und lassen Sie bei Auswahl und Durchführung der Touren Vernunft walten. Nicht die schwierigste Tour ist die schönste, sondern jene, welche an Ihre individuelle Bergerfahrung angepasst ist. Es wäre für mich als Autor dieser Seite furchtbar, wenn Ihnen aufgrund meiner Tourenvorschläge etwas zustoßen sollte.

Die Bewertung der Schwierigkeiten auf meiner Seite erfolgt in der Regel sachlich und eher streng, was erfahrenen Gehern die korrekte Einordnung der Anforderungen erleichtern soll. Berücksichtigen Sie bitte, dass sich auch meine leichteren Touren teilweise in alpinerem Gelände mit allen damit verbundenen Risiken bewegen. Eine genauere Einordnung der von mir bei der Tourenbewertung verwendeten Schwierigkeitsskala finden Sie unter "Verschiedenes -> Bewertungen".

Wann immer Sie unsicher sind oder noch Fragen haben: Schreiben Sie mir eine Email oder rufen Sie mich einfach an (siehe Angaben unter "Impressum"). Ich helfe immer gerne weiter! Ich wünsche Ihnen schöne und erfolgreiche Bergtouren.

Boris Stephan (Webmaster gipfelsuechtig.de)

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