Auf die Vorderseespitze

Die Vorderseespitze darf zweifelsohne zu den mächtigsten und imposantesten Gipfelgestalten der Lechtaler Alpen gezählt werden. Das über 2 km lange fast schon selbstständige Hauptdolomitmassiv, welches mit 2889 m Höhe nach den Erhebungen in der Parseiergruppe und der Holzgauer Wetterspitze immerhin den 7.-höchsten Gipfel der Lechtaler Alpen bildet, bietet insbesondere von Nordosten mit einen hier eingelagerten Mini-Gletscher einen unverwechselbaren und bereits hochalpinen Anblick. Doch auch von Westen aus dem Kaisertal oder aus nördlicher Richtung beeindruckt der Gipfel durch seine schönen Wandbildungen und Grate.

Die Besteigung der Vorderseespitze auf der hier vorgeschlagene Route über den ostseitigen Ferner und Schlussanstieg über den Südostgrat gehört sowohl aus landschaftlicher als auch bergsteigerischer Sicht zu den großartigsten Tourenvorschlägen dieser Seite. Der Anstieg gestaltet sich überaus abwechslungsreich und ist nirgends wirklich schwierig. Trotzdem stellt die Vorderseespitze im Gesamtkonzept eines der anspruchsvolleren Gipfelziele dieser Seite dar und bleibt somit erfahrenen Bergsteigern vorbehalten. Trittsicherheit in steilem Geröll und Schnee, Schwindelfreiheit, Kletterfertigkeit bis II, Umsicht im weglosen Gelände und nicht zuletzt gute Kondition bilden die Grundlage für eine gefahrlose Besteigung dieses Traumgipfels im Zentrum der Lechtaler Alpen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich diesem Tourenbericht voranstellen möchte, gilt der optimalen Jahreszeit. Dabei spielen die Verhältnisse am kurzen Ferneraufstieg eine entscheidende Rolle. Geht man diese Tour im Hochsommer oder im Frühherbst vor den ersten Schneefällen an, dann leidet in erster Linie der hochalpine Genussfaktor. Denn zu dieser Zeit wird man anstatt einer weiß leuchtenden Schneedecke eher eine schmutzig-schwarze Eisdecke antreffen, welche in der Regel über rutschendes Geröll umgangen werden muss. Damit wäre der genussreichste Abschnitt, welcher zugleich das landschaftliche Highlight dieser Tour bildet, dahin. Umgekehrt muss davor gewarnt werden, die Vorderseespitze ohne 3er-Seilschaft bereits im Frühsommer zu besteigen, denn zu dieser Jahreszeit können einige Gletscherspalten noch verdeckt sein. So berichtete mir ein hochgebirserfahrener Besucher meiner Seite, wie ein Felsbrocken auf dem Vordersee-Ferner urplötzlich unter seinen Füßen durchgebrochen sei. Er entging haarscharf einem Spaltensturz - ein Sicherungsseil hatte er pflichtbewusst in seinen Rucksack gepackt, wo es sich auch immer noch befand. Diese Gefahr existiert im Hochsommer und Frühherbst in der Regel nicht, da die Spalten zu dieser Jahreszeit (auf der in diesem Tourenbericht beschriebenen Route) offen oder zumindest sichtbar sein sollten. Die besten Voraussetzungen bieten sich meiner Einschätzung nach an einem goldenen Oktobertag, sofern in den vorangegangenen Wochen bereits etwas Schnee in den höheren Lagen gefallen ist. Denn nur dann wird man in den Genuss eines gleißend-weißen Ferners bei gleichzeitig geringer Gefahr verdeckter Spalten kommen. Und die warme Herbstsonne hat den SO-Grat bzw. die im Abstieg genutzte Südrinne bereits wieder ausgeapert.

Bester Ausgangsort ist neben der Ansbacher Hütte das Hochgebirgsdorf Kaisers im Kaisertal, welches mit rund 1500 Höhenmeter bereits eine gute Starthöhe bietet. In der ersten Haarnadelkurve in Kaisers weist uns ein Hinweisschild auf eine geradeaus ins Kaisertal führende Forststraße, wo wir getreu der Anweisung auf dem Schild das Auto nach ca. 1 km an einer Fahrbahnverbreiterung abstellen. Von einem echten "Parkplatz" kann hier eigentlich nicht die Rede sein.

Auf der Forststraße gelangen wir in etwas eintöniger Latscherei in ca. 1 Stunde zur bewirtschafteten Kaiseralpe. Ein gutes Stück hinter der Alpe geht die Forststraße in eine Steigspur über, welcher wir in weitem Bogen um die Aplespleisspitzen herum bis auf knapp 2000 Höhenmeter folgen. Hier haben wir die Möglichkeit etwas abkürzend durch das Klämmle und den Stierlahnzug zum gleichnamigen Joch aufzusteigen. Da wir das Klämmle aber ohnehin noch auf dem Rückweg kennen lernen werden und die in Folge vorgeschlagene Route diese Tour landschaftlich durchaus bereichert, würde ich wegen einer unbedeutenden Zeitersparnis von dieser Abkürzung eher absehen. Wir folgen also der Steigspur weiter geradeaus und gelangen zu einem ebenen, von kleinen Wasserläufen durchzogenen Boden, welcher ganz wunderbar von den umliegenden Gipfeln eingerahmt wird. Einzelne Markierungspunkte leiten uns zum Wiederbeginn der Steigspur, welche uns bergauf an einer Lache vorbei mit schönen Rückblicken auf die wilden Aplespleisspitzen zu einer Wegegabel unterhalb der Geröllhänge der Feuerspitze führt. Wir nehmen die linke Abzweigung, welcher wir bis knapp unter das Lahnzugjöchl folgen. Hier zweigt in sehr scharfer Kehre eine markierte, aber nur sehr schwach ausgeprägte Pfadspur ab, welche unter den eindrucksvollen und ungewöhnlich bunten Wänden der Feuerspitze zum Stierlahnzugjoch hinüberquert. Man bekommt für die bescheidene Ausprägung der Pfadspur schnell Verständnis, denn das sandige Geröllgelände bildet keinesfalls eine gute Basis für einen Steig von Dauer und die Nutzung erfordert sicheren Tritt und Konzentration. Eventuell waren aber auch die starken Regenfälle im Sommer 2005 für den schlechten Zustand verantwortlich. Bei Schnee in der früheren Jahreszeit dürfte eine Querung ohne Eisen vermutlich nicht ungefährlich sein.

Am Stierlahnzugjoch nimmt die ohnehin schon ungewöhnliche geologische Buntheit dieses Abschnitts der Lechtaler Alpen in der Felsruine des Fallenbacherturms, dessen auffallend getürmter Westgrat aus rotem Hornstein sich als markantes breites Band unter der lavaschwarzen Gipfelkrone fortsetzt, noch bizarrere Züge an. Obwohl er als Gipfel eher unbedeutend ist, dürfte er insgesamt zu den ungewöhnlichsten und markantesten Erhebungen der gesamten Lechtaler Alpen zählen. Jenseits des Jochs steigen wir in einer mit einem Drahtseil gesicherten Rinne ab und folgen der Steigspur bis zur ersten Kehre. Von hier haben wir einen guten Blick auf den nun bevorstehenden Zustieg zum Ferner der Vorderseespitze – die Schlüsselpassage dieser Tour.

Wie aus der Kartenskizze gut zu entnehmen ist, wird der Ferner nordwestlich von einem vom Vorgipfel der Vorderseespitze herabziehenden Grat begrenzt. Er teilt sich auf etwa halber Höhe (P. 2750 m) des Gipfelkörpers in zwei Äste. Der eine Ast zieht direkt in nördlicher Richtung hinab zum Stierlahnzugjoch, während der andere sich als eher untergeordneter Nebengrat in östlicher Richtung fortsetzt und die NO-Flanke der Vorderseespitze in zwei Teile separiert. Zwischen den beiden Graten ist ein steiles Geröllfeld eingelagert. Es gilt nun auf unserem Steig soweit abzusteigen, bis dieser auf gleich bleibender Höhe entlang einer Hochmulde (P. 2405) unterhalb der Ostflanke der Vorderseespitze nach Südosten quert. Hier verlassen wir den Weg und steigen auf einer markant geschwungenen Moräne empor, bis diese an die N-Flanke des oben erwähnten Nebengrats stößt. Dass man von hier mit etwas Übung über die äußerst steile Flanke die Grathöhe und damit das untere Ende des Ferners erreichen kann, erscheint von unserem Standpunkt aus noch reichlich unwahrscheinlich. Die Schwierigkeiten hängen – wie zu Beginn bereits erwähnt - wohl auch maßgeblich von der aktuellen Schneelage ab. In den frühen Frühjahrsmonaten ist die gesamte Flanke unter einer durchgehenden Schneedecke begraben, sodass hier mit Steigeisen und Pickel ein sehr steiler, aber weitgehend hindernisloser Durchstieg zum Fernerende möglich ist. Im Sommer apert hier eine von rechts nach links durch die Flanke emporziehende Rampe aus, deren plattiger und griffarmer Fels lt. Alpenvereinsführer insbesondere bei Nässe und letzten Schneeresten reichlich unangenehm und gefährlich werden kann. Verhältnismäßig gut lässt sich die Rampe durchsteigen, wenn diese noch durchgehend mit führigem Restschnee bedeckt ist - also im Spätfrühjahr und Frühsommer sowie im Herbst nach den ersten Schneefällen. Ein bei meiner Besteigung im Oktober 2005 hier angebrachtes Fixseil bot in diesem mit Vorsicht zu begegnenden Gelände ein willkommenes Sicherheitsplus. Völlig unmöglich ist übrigens ein Erreichen des Fernerendes hinter dem die NO-Flanke teilenden Nebengrats: Wie ich von oben zweifelsfrei feststellen konnte, endet der Ferner über einer vereisten senkrechten Mauer.

Mit diesen Vorkenntnissen gehen wir die Sache an, denn alles Weitere ergibt sich dann vor Ort. Nach rund 150 Metern Höhenverlust beginnt ein äußerst mühsamer Anstieg auf der beschrieben Moräne, welche insbesondere auf den letzten Metern aus fest zusammengebackenen Material besteht, was bei den hier vorherrschenden Neigungsprozenten einiges an Trittsicherheit verlangt. Bei geschlossener Schneedecke kann bereits hier die Benutzung von Steigeisen notwendig werden. Die Geröllkante endet an zwei steilen Rinnen. Wir nehmen die rechte, verlassen diese aber sofort nach rechts durch eine kurze, aber reichlich brüchige Steilrinne (II). Auf der erreichten schmalen Rippe geht es weiter empor zu einem plattigen Aufschwung. Er ist nicht schwer zu erklettern, wenn man nicht am linken Rand, sondern etwas rechts auf guten Tritten aufsteigt (I+). Kurz darauf erreichen wir das untere Ende der erwähnten Rampe, auf welcher wir unter Zuhilfenahme des Fixseiles mit der notwendigen Konzentration nun schräg aufwärts bis zur Überschreitung der Grathöhe ansteigen. Damit wäre der kritische Teil dieser Tour geschafft.

Über Geröll einige Meter absteigend erreichen wir das untere Ende des Ferners, an dessen äußersten rechten Rand (!) wir nun die nächsten 150 Höhenmeter bis zum oberen Ende ansteigen. Kommen Sie nicht in Versuchung, den Ferner mittig zu queren, denn wie am Beginn des Tourenberichts bereits deutlich gemacht, erreicht das Eis trotz der geringen Fernergröße bereits ein Gewicht, dass es zu fließen beginnt! Beim Aufstieg erkennt man mehrere Spalten, welche sich teilweise über die volle Breite des kleinen Gletschers erstrecken. Und auch am äußersten Rand gilt es stets ein wachsames Auge auf die Schneestruktur zu haben, denn selbst hier mussten wir einmal eine kleine verdeckte Spalte überspringen, welche auf den letzten Metern vor der Begrenzungswand sogar aufklaffte. Meines Erachtens kann der kurze Gletscheranstieg unter Beachtung des eingangs Gesagten noch mit vertretbarem Restrisiko seilfrei gegangen werden, die Mitnahme von Steigeisen möchte ich aber dringend empfehlen, geben sie bei hartem Schnee oder Eis und insbesondere beim "Springen" doch erheblich mehr Sicherheit. Landschaftlich ist dieser Teil dieser Tour schlicht und ergreifend grandios! Besonders der Rückblick auf die Freispitzgruppe vermag zu begeistern und beim Anblick des strahlenden Weiß des kleinen Gletscherchens kommt ein Gefühl von Freiheit auf, welches sonst dem hochalpinen Alpinisten und Skitourengeher vorbehalten bleibt.

Am oberen Ende des Ferners angelangt queren wir einige Meter nach rechts zu einer kleinen, scharf eingeschnittenen Scharte. Vor uns liegt nun ein weiteres Highlight dieser Tour: Der Schlussanstieg zum Gipfel über den SO-Grat. Die schwierigste Stelle befindet sich gleich am Einstieg in Form eines sehr steilen Grataufschwungs. Es ist ein nicht ganz einfacher IIer, welcher wegen seiner geringen Ausgesetztheit und dem zuverlässigen Fels jedoch keine zu großen Probleme bereiten sollte. Oberhalb des Aufschwungs geht es in anregender Kletterei (II-) zu einer weiteren Graterhebung. Diese können wir entweder links vorbei auf einem etwas ausgesetzten Band mit Abbruch in eine Rinne überlisten oder aber - wesentlich angenehmer - rechts herum. Weiter geht es am Grat empor, bis ein nächster Aufschwung uns scheinbar an einem Weiterkommen hindert. Hier nicht etwa nach rechts ausweichen (griffarme, nach oben hin sehr steile Platten beim Wiederaufstieg zum Grat, vermutlich III), sondern auf etwas versteckt liegenden Stufen ohne besondere Schwierigkeiten in der steil abfallenden Flanke links empor.

Dann wird der Grat breiter und bildet ein System von parallel laufenden Rinnen aus. Hier halten wir uns stets rechts, bis die Rinne über dem Ferner an einem senkrechten Grataufschwung endet. Hier queren wir durch einen Riss nach links in eine Nachbar-Rinne und klettern über weitere kurze Steilstufen zu einer waagrechten, etwas luftigen Felsschneide. Der Blick nach vorn auf zwei abweisende Grattürme (der hintere Turm ist bereits der Vorgipfel) lässt nichts Gutes erahnen, doch keine Bange, der schwierigste Abschnitt liegt bereits hinter uns, sofern keine ungünstigen Bedingungen in der Scharte zwischen Vor- und Hauptgipfel vorliegen. Insgesamt würde ich die Kletterei am Grat zwischen I+ und II bewerten. Ich stelle einfach mal die Behauptung auf, dass es sich hier um eines der lohnendsten leichteren Gratklettereien der gesamten Lechtaler Alpen handelt. Es ist aber ein reiner Kletteraufstieg, sodass man schon eine gewisse Sicherheit für diesen Aufstieg mitbringen sollte, zumal der Grat auf der zweiten Hälfte durchaus typischen Hauptdolomitcharakter aufweist (Helm).

Der erste Gratturm wird rechts herum überlistet. Hierzu steigen wir vor dem Turm durch einen kleinen Riss hindurch und queren vorsichtig auf Geröll (unterhalb Felsabstürze) zu seiner Ostflanke und klettern über gut gestuften Fels (I+) wieder auf die Grathöhe. Auch der Vorgipfel wird rechts herum bezwungen. Der Hauptgipfel liegt nun, durch eine Scharte von uns getrennt, zum Greifen nahe. Konzentriert steigen wir auf der rechten Gratseite über Schrofen und zusammengebackenen Geröll die wenigen Höhenmeter in die Scharte ab, wo linker Hand die Südrinne heraufkommt. Über geröllbedeckte Platten geht es nun auf der anderen Seite der Scharte neben einer Mauer empor. Oberhalb queren wir ein Stück nach rechts und erreichen über einfache Schrofen und Geröll ohne weitere Schwierigkeiten den Gipfel mit einem kleinen, schmiedeeisernen Kreuz.

Die herrliche Rundumsicht vom Gipfel ist geprägt von außergewöhnlich geologischer Buntheit. Der direkt gegenüber liegende, eigentlich eher plump und gedrungen wirkende Gipfel der Feuerspitze entzündet ein solch farbenreiches geologisches Feuerwerk, dass er als Kulisse in Fantasy-Filmen bestens geeignet wäre. Im unteren Abschnitt des breiten Gipfels dominiert der Schutt des gelb verwitterten Fleckenmergels, unter dem immer wieder der hellgraue Rätriffkalk-Sockel hervorschaut. Die Gipfelregion und insbesondere der lange SO-Grat fallen hingegen durch den ständigen Wechsel verschiedenfarbiger Schuttstreifen aus dunklem Radiolarit, rotem Hornstein und hellbeigem Fleckenmergel ins Auge. Blickfang des Kammes ist und bleibt der Fallenbacherturm, hinter dem die etwas höhere Fallenbacherspitze mit ihren senkrechten Rätkalk-Wänden hervorragt. Übertroffen wird dieses bunte Durcheinander nur noch vom gewaltigen Freispitzkamm, welcher zweifelsohne das Prunkstück des gesamten Aussichtspanoramas darstellt. Was hier in einem komplizierten, völligen Wirrwarr unterschiedlichster Gesteinsschichten aufgetürmt und gefaltet wurde gehört wahrlich zum Großartigsten und Schönsten, was die gesamten Nördlichen Kalkalpen zu bieten haben. Besonders hervorzuheben ist hier der bunte, sehr scharfe NW-Grat der Roten Spitze, welcher rund 1000 Höhenmeter bis ins Alperschontal hinabzieht. Die Rote Platte fasziniert neben ihrem beige-roten Schuttstreifen im Gipfelbereich insbesondere durch eine von ihrem Gipfel abzweigende markante Gratkante aus hellem Rätkalk, welche in glatter, teils überhängender Wand Richtung Alperschon abstürzt. Natürlich darf auch die Freispitze nicht unerwähnt bleiben, welche von dieser Seite vor allem wegen ihrer in Schutt eingebetteten Rätkalk-Platten auffällt. Die Besteigungen der Vorderseespitze halten sich übrigens vor allem in den Spätsommer- und Herbstmonaten sehr in Grenzen – rund 30 Einträge pro Jahr. Das Gipfelbuch aus den 80ern wird wohl noch viele Jahre überdauern.

Als Abstieg haben wir die oben bereits erwähnte Südrinne gewählt. Sie stellt je nach Verhältnissen wohl die leichteste Route auf die Vorderseespitze dar, der Abstieg erfordert jedoch auch dann Trittsicherheit in steilem Geröll und einen gewissen alpinen Humor. Die Rinne besteht aus wechselnd zusammengebackenen und gleitenden Schutt und enthält zwei kurze Steilstufen (II). Ist der Schutt mal in Bewegung, fließt er selbstständig über weite Strecken die Rinne hinunter. Gröberes Geröll wird hingegen oft als Steinschlag losgetreten, was insbesondere an den beiden Steilstufen ohne Helm schnell gefährlich werden kann. In jedem Fall werden Sie ordentlich eingestaubt. Im ungünsten Fall - und auch davon wurde mir schon berichtet - besteht der erste Abschnitt bis zur ersten Steilstufe aus zusammen gebackenen, erdig verwitterten Geröll und muss dann links in brüchigem Hauptdolomit umgangen werden. Im Aufstieg ist die Rinne wohl kaum zu empfehlen, es sei denn, Sie schuften sich gerne 900 Höhenmeter über gleitendes Geröll auf einer landschaftlich auch nicht gerade schönen Route zum Gipfel. Im Abstieg ist die Rinne jedoch mit Sicherheit die schnellste Route, insbesondere, wenn man ins Kaisertal zurückkehren möchte. Bei Schnee oder Vereisung sollte die Rinne tabu sein, sofern keine besonders "steigeisenfreundlichen" Verhältnisse vorliegen sollten.

Wir steigen also auf der Anstiegsroute zur Scharte vor dem Vorgipfel ab und tasten uns dann über unangenehm hartes Geröll, am besten die Schrofen rechts als Haltegriffe nutzend, an die erste Steilstufe heran. Sie ist nicht besonders hoch, verlangt aber dennoch in dem brüchigen Gelände eine gewisse Gewandtheit und ist in jedem Fall mit II zu bewerten. Es folgt eine erste kurze Geröllabfahrt zur zweiten Steilstufe, welche ich persönlich etwas leichter bewerten würde. Bald darauf öffnet sich die Rinne über einem riesigen Geröllfeld. Unser nächstes Ziel ist nun ein kleiner, teils begrünter Absatz am Ende des Südgrats der Vorderseespitze. Beim Abfahren im Geröll halten wir uns also immer rechts, die letzten Meter müssen wir horizontal in der Geröllflanke queren. Vom Absatz gilt es mit möglichst wenig Höhenverlust das Hinterseejöchl zu erreichen. Dazu queren wir auf Rasentritten nach rechts zu einer Grasrippe, hinter welcher sich eine Plattenzone versteckt. Die Querung der Platten auf schmalen Bändern erfordert Vorsicht, etwas Kletterfertigkeit (bis I+), Trittsicherheit sowie etwas Umsicht beim Auffinden der jeweils günstigsten Durchstiegsmöglichkeiten. Jemanden der die Vorderseespitze bestiegen hat sollte die Querung jedoch vor keine zu großen Probleme stellen. Nach etwas auf und ab in den Platten queren wir an günstiger Stelle auf eine Grasrippe, auf welcher wir solange aufsteigen, bis wir über steile Erdtritte und Gras die offizielle Steigspur erreichen, welche uns in wenigen Minuten hinauf zum Joch leitet. Natürlich können Sie vom Geröllabsatz auch über gute Rasentritte direkt zur Steigspur absteigen, was aber zusätzliche 100 Höhenmeter kostet.

Vom Hinterseejöchl folgen wir einer spärlich markierten und stellenweise stark verwischten Pfadspur nach Nordwesten. Als Orientierungspunkt bietet sich ein ebener Absatz (P. 2402) an, auf welchem die Pfadspur gut zu erkennen ist. Am erwähnten Absatz angelangt folgen wir dem Hinweisschild "Klämmle – Nur für Geübte". Auch wenn wir als Besteiger der Vorderseespitze dem Schild nicht allzu große Beachtung schenken müssen, so muss ich ehrlich gestehen, dass ich etwas überrascht war, als wir nach einigen Minuten die Wegegabel über dem Klämmle erreichten. Das ist in der Tat ein Abstieg, bei dem nicht nur Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, sondern auch etwas Kletterfertigkeit (I+) unabdingbare Voraussetzung sind. Der steile Durchstieg ist sehr gut mit Drahtseilen und Eisenklammern entschärft und macht richtig Spaß, trotzdem hat das Klämmle bereits den Charakter eines leichteren, wenn auch nur kurzen Klettersteiges. Im Kaisertal angekommen wandern wir auf bereits bekannter Route in ca. 1 ½ Stunden zurück zu unserem Auto.

Karte

Höhenprofil mit Gehzeiten (ohne Pausen)

Lieber Bergfreund,

bei den auf gipfelsuechtig.de vorgestellten Tourenvorschlägen handelt es sich um außergewöhnlich schöne und spannende Bergfahrten, welche aber mitunter in ihrer Gesamtanforderung als recht anspruchsvoll eingestuft werden müssen. Für eine gefahrlose Nachbegehung sind neben Unternehmungslust und guter Ausrüstung vor allem zwei Dinge von großer Wichtigkeit: Vernunft und alpine Erfahrung. Die jährlich steigende Anzahl teils tödlicher Bergunfälle zeigt, dass viele Bergbegeisterte sich in Ihrem Unternehmungsdrang überschätzen oder dem alpinem Gelände nicht den nötigen Respekt zollen. Besonders erschreckend ist bei näherer Betrachtung, dass es sich hierbei noch nicht einmal immer um besonders anspruchsvolle Touren handelt.

Meine dringende Bitte an Sie ist deshalb: Überprüfen Sie kritisch Ihre Bergerfahrung und lassen Sie bei Auswahl und Durchführung der Touren Vernunft walten. Nicht die schwierigste Tour ist die schönste, sondern jene, welche an Ihre individuelle Bergerfahrung angepasst ist. Es wäre für mich als Autor dieser Seite furchtbar, wenn Ihnen aufgrund meiner Tourenvorschläge etwas zustoßen sollte.

Die Bewertung der Schwierigkeiten auf meiner Seite erfolgt in der Regel sachlich und eher streng, was erfahrenen Gehern die korrekte Einordnung der Anforderungen erleichtern soll. Berücksichtigen Sie bitte, dass sich auch meine leichteren Touren teilweise in alpinerem Gelände mit allen damit verbundenen Risiken bewegen. Eine genauere Einordnung der von mir bei der Tourenbewertung verwendeten Schwierigkeitsskala finden Sie unter "Verschiedenes -> Bewertungen".

Wann immer Sie unsicher sind oder noch Fragen haben: Schreiben Sie mir eine Email oder rufen Sie mich einfach an (siehe Angaben unter "Impressum"). Ich helfe immer gerne weiter! Ich wünsche Ihnen schöne und erfolgreiche Bergtouren.

Boris Stephan (Webmaster gipfelsuechtig.de)

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